Bergsteigen

"Siehe, Du kannst die Erde nicht spalten, noch die Erde an Höhe erreichen."

Koran, Sure 17,39

Entdeckungsgeschichte des Wakhan

Die konkrete Entdeckung des Wakhan durch einen historischen Eroberer wie Alexander, einen kolonialen Landvermesser wie George Everest oder prominenten Reisenden wie Marco Polo kann weder sinnvoll datiert noch eingegrenzt werden. Die Gebirgsketten des Großen Pamir, des Wakhan und des Hohen Hindukusch waren im Gegensatz zu den 7000ern des Zentralen Pamir oder den meisten 8000ern des Karakorum und Himalaya weder unbekannt noch abgelegen. Ganz im Gegenteil waren die Täler, welche die großen Gebirge Zentralasiens durchziehen und speziell der Wakhan-Korridor, über anderthalb Jahrtausende eine der Hauptrouten des Handels zwischen fernöstlichem Asien und Europa, dem Nahen Osten und dem nördlichen Afrika.

Die dort ansässigen Kulturen pflegten jedoch (im Gegensatz etwa zu den Inka Südamerikas) kein enges Verhältnis zu den Gipfeln dieser Gebirgsketten. Sowohl die sesshaften und nomadisch lebenden Menschen im Wakhan als auch die mit Handel und Warentransport beschäftigten Karawanen interessierten sich ausschließlich für die tiefsten, durch Flüsse ausgewaschenen und damit am sichersten passierbaren Stellen dieses Gebirges. Die Gipfel und Flanken der umliegenden Berge dagegen stellten (und stellen bis heute) wohl eher Hindernisse und Bedrohungen durch Erdrutsche, Lawinen und Talschlüsse dar.

Noch 1978 erklärt Roger Senarclens de Grancy, dass „wir im Sommer des Jahres 1970 im Wakhan feststellen können, daß die einheimische Bevölkerung offensichtlich kaum eigentliche Bergnamen oder Berggruppenbezeichnungen kennt, wie wir dies heute in den Alpen gewohnt sind. […] Wenn wir heute das Wort »Pamir« mit der Vorstellung eines Gebirges verbinden, so tun wir dies offenbar, um einem Mangel beizukommen; nämlich dem der Namenlosigkeit zahlreicher Berge und Bergkämme in dem von uns besuchten Gebiet.“ (Senarclens de Grancy, 1978: 24). Viele der mittlerweile auf Karten und in den einschlägigen Publikationen verwendeten Namen der Bergkämme gehen schlicht auf die Bezeichnungen der sie umgebenden Flussläufe und Täler zurück.

Die Bergketten des Wakhan wurden also nicht erst im 19. Jahrhundert von kolonialen Landvermessern entdeckt (wie beispielsweise der K2 oder auch die 7000er im Zentralen Pamir). Stattdessen wurden diese Gipfel seit Jahrtausenden von Menschen gesehen und deren Flanken passiert. Die wirtschaftlichen wie politischen Entwicklungen seit dem Bedeutungsverlust der Seidenstraße (mit Aufkommen des Seehandels mit Indien und China) und der Ausgang des Great Game sind wohl zum Großteil die Ursache dafür, dass diese Region kaum Interesse bei den Landvermessern und Bergsteigern hervorrief.

Robert Kostka bringt diese aus bergsteigerischer Sicht faszinierende Dialektik auf den Punkt, wenn er schreibt: „Diese Reiserouten sind seit Jahrtausenden von Bedeutung, während Naturforscher und Bergsteiger erst seit etwa 150 Jahren Interesse an der Hochgebirgsregion bekunden.“ (Kostka 2011, 74). Die eigentliche Besteigungsgeschichte der Berge des Wakhan reicht sogar nur knapp 60 Jahre zurück und setzte somit ganze 30 Jahre nach den Erstbesteigungen der erst wenige Jahre zuvor entdeckten und vermessenen 7000er Gipfel des Pamir ein.

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Besteigungsgeschichte des Wakhan

Die goldene Zeit der alpinistischen Erschließung des Wakhan fällt zweifelsohne in die 1960er und 1970er Jahre. Vergleichsweise leichte Zugänglichkeit des Gebietes über den Landweg (Türkei, Iran, Afghanistan), politisch stabile Verhältnisse, eine moderne, offene Interpretation des Islam, preiswerte Infrastrukturleistungen vor Ort und die Gastfreundschaft der Afghanen schufen ein außerordentlich günstiges Klima für ambitionierte Bergfahrten. Gleichwohl beschränkten sich die alpinistischen Aktivitäten nahezu ausschließlich auf die westliche Hälfte des Wakhan. Zwei Gründe waren dafür ausschlaggebend: Erstens befinden sich im Hohen Hindukusch mit seinen 7000ern wie dem Nowshak die attraktivsten Gipfel, zweitens galten die Kirgisen des östlichen Wakhan als wilde, räuberische Gesellen und Reisen dorthin als gefährlich. Es waren Japaner, Österreicher, Deutsche und Polen, welche die alpinistische Erschließung des Hohen Hindukusch seit 1960 vorantrieben, beispielhaft genannt seien Toshiaki Sakai, Boleslaw Chwascinski, Robert Kostka und Gerhard Schmatz.

Den östlichen Wakhan betreffend gab es nur wenige und darüber hinaus ohne offizielle Genehmigung stattfindende Unternehmungen. So reiste der britische Offizier H.W. Tilman im Jahr „1946 – allerdings ohne Erlaubnis – auf abenteuerlichen Wegen aus British-Indien über chinesisches Gebiet in den Wakhan“ (Senarclens de Grancy, 1978: 32). Aus dem Jahr 1950 liegt ein „Erlebnisbericht“ des amerikanischen Ehepaars Shor vor, das „auf den Spuren Marco Polos […] eine Reverenz an den Venezianer darstellt“ (ebd.) und der deutsche Journalist H. Lechenperg reiste schließlich 1962 und 1965 zu den Kirgisenlagern des Östlichen Pamir. Im Rahmen der ersten Reise gelang ihm dabei ein Treffen mit dem „beinahe schon legendär zu nennenden Stammeshäuptling Rahman Qul, vier Tagesreisen östlich von Sarhad“ (ebd.). Im Jahr 1965 konnte er sogar einen Film über die weitere Begegnung mit Rahman Qul drehen und verhalf damit dem Wakhan zu relativer Bekanntheit in Westeuropa.

Mit bergsteigerischen Ambitionen ausgestattet, wagten sich nur zwei Expeditionen in den Östlichen Wakhan: 1964 eine Deutsche Expedition unter Dieter von Dobeneck (gemeinsam mit K. Brenner, O. Huber, Dr. K. Winkler) und 1974 eine polnische um A. Miklaszewski. Die deutsche Expedition "nutzte ihr auf Langar lautendes Permit zunächst für eine Großaktion im Tal von Langar (heute von Sar Shkhawr). Die Langar-Gipfel interessierten sie, von denen nur der Nordgipfel (ca. 6750 m) mit steiler Flanke zum Talende abbricht. [...] Da es aber einen "Langar" auch weit drüben im Osten gab, lassen die Deutschen ihren, von der Bundespost erworbenen, Mercedes-Bus bei Qala-e-Pandja stehen und machen sich, erst mit Tragpferden, dann mit Yaks, nach Osten auf den Weg. Im Bereich des Kleinen Pamir schauen sie vom Gipfel des Fünftausenders Koh-e Bay Qara nach Süden zu den Wänden und Türmen des Batura Mustagh im Karakorum." (Diemberger 1970, 37 f.)

Die ab den 1960er Jahren wesentlich zahlreicher aufkommenden Expeditionen konzentrierten sich fortan auf den westlichen Teil des Wakhan und die Besteigung der dortigen 6000er und 7000er Gipfel sowie auf umfangreiche kartographische, geologische, ethnologische und linguistische Forschungsvorhaben (Gratzl 1970, Senarclens de Grancy und Kostka 1978). Lediglich der deutsche Zoologe C. Naumann unternimmt 1971 und 1972 noch zwei Vorstöße in den östlichen Teil, indem er 1971 bis zum „Tshaqmaqtin Kol vorstieß und auf der Rückreise im westlichen Teil des »Großen Pamir« eine Erhebung bestieg (P. 5421), von der aus er ein aufschlussreiches Panorama erhielt. Zusammen mit seiner 1972 durchgeführten Reise – die ihn an die Ufer des Zor Kol brachte, von wo aus ihm eine Querung vom »Großen« zum »Kleinen Pamir« gelang – leistete er neben seinen eigentlichen Aufgaben einen für die Kartographie dieses Berglandes wertvollen Dienst. Naumann erhob zahlreiche Orts- und Flurnamen entlang seiner Reiserouten und konnte erhebliche Abweichungen zum offiziellen afghanischen Kartenwerk feststellen. Auch versuchte er eine geographische Gliederung des Wakhan, des »Großen« und des »Kleinen Pamir« so vorzunehmen, wie sie dem Empfinden der Wakhi und der Kirghisen – also der einheimischen Bevölkerung – entspricht.“ (Senarclens de Grancy, 1978: 32 f)

Der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan 1979 beendete jeglichen Bergtourismus im Wakhan jäh und auch während der Mudschaheddin-Bürgerkriege in den 1990er Jahren reiste kaum jemand in das Tal. Besteigungen in dieser Zeit erfolgten nahezu ausschließlich vom pakistanischen Süden, aus den Tälern des Chitral und Chapursan. In der Folge blieb der Östliche Wakhan mit seinen zahlreichen 5000er und einigen wenigen 6000er Gipfeln bis auf die zwei Ausnahmen von 1964/74 völlig unberührt von Bergbesteigungen – ein riesiges Gebiet schlummerte seit Jahrzehnten im alpinistischen Dornröschenschlaf.

Neuzeitliche Erkundungen ab 2004

Die ersten neuzeitlichen Erkundungen führten ab 2004 John Mock and Kimberley O'Neil in den Östlichen Wakhan und sie berichteten ausführlich von landschaftlicher Schönheit, Gastfreundschaft der Kirgisen und lohnenden Bergzielen. Wolfgang Heichel überschritt 2007 von Süden kommend den Irshad Urwin und konnte beim Abstieg nach Bozai Gumbaz Besteigungsoptionen im Hinduraj dokumentieren. Das Zweierteam Steffen Graupner & Kathrin Münzel querte 2008 erstmals die knapp 100 km lange und 50 km breite Kette des Koh-e-Aksu in ihrem Zentralteil, am 5300 m hohen Oxus Snow Lake und berichtete von einem halben Dutzend unbestiegener Gipfel bis 5900 m Höhe um den Snow Lake herum. Angeregt durch diese Vorarbeiten bestieg der Schotte Alan Halewood im Sommer 2010 in einem südlichen Seitental des Wakhjir-Darja zwei Gipfel, Koh-e-Iskander (5561 m) und Koh-e-Khar (5327 m). Im gleichen Jahr gelangen einem 14-köpfigen polnischen Team um Bartek Tofel genau gegenüber des “Halewood-Gebietes", also vom Wakhijr-Darja nach Norden in die Koh-e-Aksu-Kette hinein, insgesamt acht Erstbesteigungen. Chris Nettekoven näherte sich im Jahr 2012 im Elga-Eli-Tal von Norden aus kommend dem Koh-e-Aksu-Hauptkamm und erzielte einen Gipfelerfolg am Koh-e-Elgha-Eli IV (ca. 5725 m).

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt verbleiben im zentralen und östlichen Koh-e-Aksu weit über 90% der Gipfel unbestiegen, gleiches gilt für den Hinduraj. Mit den Vorarbeiten der Teammitglieder Steffen Graupner und Wolfgang Heichel haben wir in diesem Bereich Bergziele identifiziert, die wir im Rahmen der Expedition besteigen wollen.

Wakhan

Kostka, R. 2011: Berg- und Trekkingziele im Knoten Asiens. In: Kostka, R.: Wakhan. Talschaft zwischen Pamir und Hindukusch. Graz 2011. S. 72-77.

Gratzl, K. 1970: Hindukusch. Österreichische Forschungsexpedition in den Wakhan 1970. Graz 1970.

Diemberger, A.: Die bergsteigerische Erschließung des Wakhan. In: Gratzl, K.: Hindukusch. Österreichische Forschungsexpedition in den Wakhan 1970. Graz 1970. S. 33-42.

Senarclens de Grancy, R. und Kostka, R.: Großer Pamir: Österreichisches Forschungsunternehmen 1975 in den Wakhan-Pamir, Afghanistan. 400 S. und Tasche mit 5 Karten, Akademische Druck- und Verlagsanstalt. Graz 1978.

Senarclens de Grancy, R. 1978: „Pamir-e-Kalan“ … „Großer Pamir“. In: Senarclens de Grancy, R. und Kostka, R.: Großer Pamir. Österreichisches Forschungsunternehmen 1975 in den Wakhan-Pamir/Afghanistan. Graz 1978. S. 1-56.