"…the great object of my thought by day and dreams by night had for some time past been the discovery of the Oxus…"
John Wood
Drei Teammitglieder haben im afghanischen Wakhan bereits Erkundungstouren unternommen: Wolfgang Heichel, Steffen Graupner und unser afghanischer Freund Malang aus dem Wakhi-Dörfchen Qazi-Deh.
Wolfgang Heichels Tour (siehe Karte) führte ihn im August 2007, von Süden kommend, aus dem pakistanischen Chapursan-Tal über den Irshad-Urwin-Pass bis nach Bozai Gumbaz. Steffen Graupner, Kathrin Münzel und Malang gelangten im Oktober 2008 vom Straßenende in Sarhad den Wakhan-Darja hinauf bis ebenfalls nach Bozai Gumbaz, danach bis zur Quelle des Wakhijr-Daria an Curzons Eishöhle und beschritten schließlich als Zweierseilschaft Graupner/Münzel Neuland bei der zentralen Querung der Koh-e-Aksu Kette. Beide Touren, Heichel 2007 und Graupner 2008, dokumentierten in Fotografien und GPS-Koordinaten mögliche Gipfeloptionen entlang ihrer Routen und publizierten die Ergebnisse im American Alpine Journal und in der deutschsprachigen TOURS:
Neben der rein alpinistischen Annäherung an den Wakhan trieb sowohl Wolfgang Heichel als auch Steffen Graupner die Quellfrage des Oxus um und beide schlagen eine neue Quellangabe vor. Der Charme dieser neuen Quellen liegt – neben den geographischen Fakten, dass sie einen längeren Flußlauf ergeben und eine höher gelegene Quellregion – vor allem darin begründet, dass beide neuen Optionen eine gemeinsame Quelle von zwei der drei historisch konkurrierenden Quellflüsse postulieren. Diesen Fragen wollen wir auf der diesjährigen Tour weiter nachgehen.
In der modernen Nomenklatur heißt der Oxus von seiner Mündung in den Aral-See bis 1500 km stromaufwärts zum Zusammenfluß von Pjandsch und Wachsch schlicht Amu Darja. Als Pjandsch und afghanisch-tadschikischer Grenzfluß schlängelt er sich weitere fast 1000 km nach Südosten bis Kala-i-Pjandsch, wo der Pjandsch aus den zwei fast gleich mächtigen Quellströmen Pamir und Wakhan geboren wird. Nun als Wakhan-Fluß geht es weitere 150 km schnurstracks nach Osten bis zum nächsten namensändernden Zusammenfluß, dieses Mal von Bozai-Darja und Wakhjir-Darja. Noch einmal 60 km nach Osten führt der Wakhjir-Darja bis zu seiner Quelle in einer Eishöhle am Fuß des Gletschers. Klingt alles komplizierter, als es ist. Eigentlich ist es schon verdammt kompliziert, denn im 19. Jahrhundert hat genau die Frage, ob denn nun der Pamir oder der Wakhan der größere Zufluß des Pjandsch und mithin Quellfluß des Oxus sei, für gehörige Verwirrung gesorgt. Diese Frage zu beantworten, wurde 1837 der junge Schotte Lieutenant John Wood von der indischen Navy in den Pamir gesandt.
Als er im Januar 1838 bei Kala-i-Pjandsch am Zusammenfluß von Pamir und Wakhan an den zugefrorenen Flüssen stand, entschied er sich nach Temperatur- und Abflußmessungen und den Informationen seiner kirgisischen Begleiter für den Pamir als mächtigeren Fluß, weil kälter und schneller fließend. Im eiskalten Winter ritt er den Pamir hinauf bis zu seiner Quelle im Sorkul-See (auch Victoria-See oder später Woods-Lake), schrieb ein Abenteuerbuch über die Reise, war in London eine gefeierte Persönlichkeit und man meinte, die sagenumwobene Quelle des Oxus sei gefunden. Doch weit gefehlt. Wenige Jahrzehnte später brachte Mukhtar Shah, ein heiliger Mann aus Kaschmir, den die Briten als Pundit (=einheimischen Landvermesser) schulten und auf Expedition schickten, die Kunde vom Bartang als möglichem Quellfluß des Oxus zurück zu seinen Offizieren nach Kalkutta. Schaut man sich die Pamirkarte an, dann wird deutlich, welch großen Bogen der Bartang von seiner Quelle östlich des Chakmaktin-Sees zunächst als Aksu und später als Murghab und Bartang bis zur Mündung in den Pjandsch, 50 km nördlich von Khorog, durch den ganzen Pamir schlägt. Die Strecke ist ebenso lang wie die des Wakhan- oder Pamir-Flusses. Somit standen 3 mögliche Strecken-Varianten zur Auswahl:
Auf ihrer Tour 2008 entdeckten Graupner/Münzel bei der Querung der Koh-e-Aksu Kette eine geographische Besonderheit! Dort, wo der Gletscher auf 5300 m Höhe nicht mehr weiter ansteigt, hat er ein etwa vier Quadratkilometer großes ebenes Plateau ausgebildet. Eine solche Formation an der Nahtstelle zweier in entgegengesetzter Richtung abfließender Gletscher war bislang lediglich aus dem Karakorum von Biafo- und Hispar-Gletscher als “Snow Lake“ bekannt. Unseren Schneesee nannten wir folglich “Oxus Snow Lake“.
Malang machte uns später darauf aufmerksam, dass jede Schneeflocke, die auf den Oxus Snow Lake fällt, zur einen Hälfte als Teil des Gletschers nach Süden fließt, an Curzons Eishöhle in Wasser verwandelt wird und als Wakhan den einen der vieldisputierten drei möglichen Quellflüsse des Oxus bildet. Die andere Hälfte der Schneeflocke fließt als Gletscher nach Norden, wird zum Fluß Karadshilga, der im Aksu und später im Murghab aufgeht und schließlich den Bartang bildet, den zweiten möglichen Quellfluß des Oxus. „Wenn nun der “Oxus Snow Lake“ die neue und eigentliche Quelle des Oxus ist“, schlug Malang voll Begeisterung vor, „dann sind die Geographen glücklich, weil die neue Quelle höher und weiter stromauf liegt. Viel wichtiger ist dabei aber, dass mit der gemeinsamen Quelle am “Oxus Snow Lake“ zwei seit über 100 Jahren verfeindete Theorien endlich miteinander versöhnt werden. Und ist nicht Versöhnung überhaupt das, was meine Heimat, Afghanistan, am dringlichsten braucht?“