"The Oxus is a river whose waters tell of forgotten peoples and secrets of unknown lands, and are believed to have rocked the cradle of our race."
Lord Curzon (later to become Viceroy of British India), 1894.
Die eisgepanzerten Gipfel von Hindukusch, Pamir und Karakorum umklammern den Wakhan-Korridor zwar vollständig, aber dennoch ist dieser Gebirgsknoten, mit im Übrigen häufig noch unklarer tektonischer Gliederung, keine undurchdringliche Bergwildnis. Pulsadern gleich durchziehen mächtige Ströme das Gebirge, entspringen aus Gletschern und fließen tausende Kilometer durch karge Hochgebirgswüsten, ehe sie in einer der großen Sandwüsten versickern. Auf ihrem Weg bewässern sie nicht nur die Äcker und Obsthaine der Bergbauern, sondern haben vor allem breite Täler ausgewaschen, die seit Jahrtausenden als Heerstrassen und Handelsrouten beschritten werden. Als archaischer „information highway“ haben sie Europa ebenso frühe Kunde von den Völkern des Ostens gebracht, wie umgekehrt Wissen von West nach Ost transportiert.
Einem dieser Flüsse wollen wir auf unserer Expedition folgen, geographisch wie als Idee: dem Oxus, dem Fluss aller Flüsse. Heute heißt er im Unterlauf Amu Darja, also “Großer Wasserlauf“ und im Oberlauf Pjandsch, “Fünf Flüsse“, und markiert auf 1000 Kilometern seiner Länge die afghanisch-tadschikische Grenze. Im ersten Jahrtausend vor unserer Zeit begriff das Abendland den Oxus als östlichen Rand des persischen Reiches und mythische Begrenzung der bewohnten Welt. Mutig überschritt Alexander der Große auf seinem Blitzkriegs-Feldzug durch Persien, Baktrien und Sogdiana auch diese Grenze. Später folgte Marco Polo der Seidenstraße durch den Wakhan-Korridor, dann die britischen und russischen Spieler des Great Game im 19. Jahrhundert.
Der Fluß wird auch unsere Reise prägen – wir folgen in der Anreise seinem Lauf, richten die Reisezeit nach ihm und wollen weiter an der Lösung des Rätsels seiner Quelle arbeiten.
Überarbeitung einer Karte von Mareile Paley aus der Wakhan Reisebroschüre der Aga Khan Foundation-Afghanistan vom Juni 2006
Vom tadschikischen Duschanbe aus werden wir reichlich 600 km mit einem Kleinbus in den Pamir hinein fahren. Die etwa 16-stündige rumpelige Anreise wird uns nach der Hälfte der Strecke, in Kala-i-Kumb, an den Pjandsch führen und dann nach Khorog. In dieser kleinen entspannten Universitätsstadt auf 2000 m Höhe werden wir einige Tage mit den letzten logistischen Vorbereitungen der Tour verbringen und dann geht es den Pjandsch entlang noch 100 km nach Süden. Dort, wo der Pjandsch nach Osten abbiegt, überquert eine neue Brücke den Fluß und führt vom tadschikischen Ischkaschim in die afghanische Zwillingsstadt Eschkaschim. In Eschkaschim werden uns Mitarbeiter der Aga-Khan-Stiftung um Mehboob Aziz (unterstützt von der deutschen GIZ) dabei helfen, weitere lokale Genehmigungen einzuholen und Logistik zu organisieren, ehe wir in Qazi-Deh unseren afghanischen Bergfreund Malang aufnehmen und zusammen per Allrad-Jeep 120 km nach Osten bis Kala-i-Pjandsch fahren.
Hinter Kala-i-Pjandsch erwartet uns ein spannender Blick auf das Tal zu unseren Füßen: der Pjandsch wird aus dem Zusammenfluß zweier fast gleich mächtiger Ströme Pamir und Wakhan geboren. Noch 30 km folgen wir mit dem Jeep dem Tallauf des Wakhan bis auf 3000 m Höhe ins Dörfchen Sargez, wo wir Tragtiere, Pferde und Yaks anmieten wollen. Dann beginnt das Trekking, das uns innert 12 Tagen bis zum Chakmaktin-See führen wird. Von Sargez wandern wir zunächst nach Norden, überqueren nach kurzem steilen Anstieg am Pass Kotal-E-Sargez den Hauptkamm der Pamir-e-Wakhan-Kette und gelangen durch liebliche Täler bis an den Flußlauf des Pamir. Diesem einen der drei vieldisputierten Quellflüsse des Oxus folgen wir eine knappe Woche lang bis zum Sorkul-See. Dabei gelangen wir sanft ansteigend auf das 4000 m hohe Plateau des Großen Pamir. Am Sorkul wenden wir uns nach Süden, überqueren den Pamir-e-Wakhan ein zweites Mal am Pass Kotal-e-Shaur in 4890 m Höhe und gelangen über die Pässe Kotal-e-Karabel 4820 m, Uween-e-Sar 4887 m und Akbelis 4595 m bis nach Bozai Gumbaz.
Bozai Gumbaz, das Grabmal des Gumbaz, ist ein geopolitisch hochspannender Ort, fand doch hier eine von überhaupt nur zwei persönlichen Begegnungen von Spielern des Großen Spiels statt: 1891 trafen der Brite Francis Younghusband und der Russe Major Yonoff aufeinander, beide von ihren Regierungen gesandt, das Gebiet für ihre Krone in Besitz zu nehmen. Das Dutzend Kosaken in Yonoffs Begleitung im Unterschied zu einem einzigen Diener bei Younghusband ließ keine Fragen aufkommen, wie diese Entscheidung ausfallen musste.
Aber auch besondere geographische Spannung geht von diesem Punkt aus: Wir stehen wieder vor einem Zusammenfluß zweier möglicher Quellströme des Oxus, diesmal von Bozai-Darja und Wakhjir-Darja. Der Wakhjir-Darja führt noch 70 km nach Südosten, ehe er in Curzons Eishöhle, einem Gletschertor verschwindet. Dieser Flußlauf bis zur Eishöhle galt als gemeinhin aktuell akzeptierter Quellfluß des Oxus, ehe 2008 ein Zweierteam um Steffen Graupner in der nördlich der Eishöhle liegenden Kette des Koh-e-Aksu auf 5300 m einen Schneesee entdeckte und diesen als Oxus-Quelle vorschlug (Näheres dazu unter Vorarbeiten).
Dieses Mal wollen wir dem Lauf des Bozai-Darja nach Nordosten folgen, der sich ca. 20 km hinter Bozai Gumbaz auf reichlich 4000 m im Chakmaktin-See verliert. Die Zu- und Abflusslage an diesem See ist völlig unklar, insbesondere, wo genau die Wasserscheide zwischen den nach Westen entwässernden Systemen des Bozai-Darja -> Wakhan-Darja -> Pjandsch -> Amu Darja System und dem zunächst nach Osten entwässernden System des Aksu -> Murgab -> Bartang -> Pjandsch -> Amu Darja verläuft. Wir haben uns zur Aufgabe gestellt, diesen Fragen nachzugehen und am westlichen Ende des Chakmaktin-Sees nach Norden und Süden aufzusteigen, einen Überblick über die Topographie zu erlangen, Bachsystemen zu folgen, GPS-Messungen vorzunehmen und auf diesen Grundlagen schließlich die Wasserscheide näher einzugrenzen.
Bei seiner Wakhan-Expedition 2008 konnte das Zweierteam Steffen Graupner & Kathrin Münzel erstmals die knapp 100 km lange und 50 km breite Kette des Koh-e-Aksu in ihrem Zentralteil, am 5300 m hohen Oxus Snow Lake, queren. Alle Gipfel dieses Gebirges waren damals unbestiegen, bis heute hat sich durch die Expeditionen von Bartek Tofel 2011 und Chris Nettekoven 2012 mit zusammen einem knappen Dutzend Erstbesteigungen nur wenig geändert. In dieser Kette bestehen reichhaltige Erstbesteigungsmöglichkeiten von weiteren Gipfeln im Bereich von 5200 bis 5800 Metern Höhe. Wir haben die 2008 gesammelten Erkenntnisse und Fotografien um eigene und Wolfgang Heichels alpinchronistische Recherchen ergänzt, die eine Reihe von Gipfeln als mögliche Ziele für uns im Koh-e-Aksu identifizieren (Näheres dazu unter Bergsteigen).